Die 10 gefährlichsten Karriere-Mythen für Führungskräfte
Ich habe in meiner Laufbahn als Manager bis in die Vorstandsetage gelernt, was es bedeutet, wenn man unreflektiert vermeintlichen Regeln folgt, die für Führungskräfte zu gelten scheinen. Dieses sind nicht unbedingt nur „Regeln“, sondern manchmal auch Verhaltensmuster, die uns unsere Persönlichkeit vorgibt. Ich bin davon überzeugt, dass diese Mythen dazu beigetragen haben, dass ich in einen Burnout gelaufen bin. Ich möchte in diesem Blog einen Überblick über meine Top-10 Mythen geben und auf jeden von diesen Punkten in weiteren Blogs und Podcasts noch ausführlicher eingehen:
1.) Als Manager musst du immer 120% geben. Stress gehört einfach dazu
Ich habe während meiner Karriere geglaubt, dass ich nahezu unendlich Energie habe. Pausen waren für mich nicht nötig – es gibt ja so viel zu tun. Auch das Gefühl des „permanent-unter-Strom-stehens“ war für mich ein Zeichen, dass ich ein Manager mit viel Verantwortung bin. Das gehört eben dazu, dafür bekommst du ja Schmerzensgeld – ha, ha.
Heute weiß ich, dass ich gar keine Verbindung mehr zu mir gehabt habe. Ich wusste nicht, wie es mir geht und dass ich eigentlich total erschöpft war. Ich habe einfach nur noch funktioniert. Auch ist mir heute klar, dass dieses permanente Stressgefühl sehr gefährlich ist, denn unser Körper interpretiert Stress als Krisensituation, in der wichtige Körperfunktionen – wie z.B. die Arbeit des Immunsystems heruntergefahren werden. Das kann richtig gefährlich werden. Das wurde sehr eindrücklich als meine Blutwerte damals zeigten, dass meine Immunabwehr auf einem so niedrigem Niveau war, dass ich einer schweren Krankheit kaum etwas entgegenzusetzen gehabt hätte. Mehr Details zu diesem Thema in meinem Blog dazu.
2.) Du musst alles unter Kontrolle behalten
Der Gedanke hat schon etwas, dass man zu jeder Zeit, jedes Detail im Griff hat und daher nichts schief gehen kann. Nur ist das leider eine Illusion. Gerade in der heutigen komplexen Welt ist das unmöglich, da du nie weißt, was morgen wirklich passiert. Außerdem kostet „alles unter Kontrolle zu halten“ enorm viel Energie, denn du musst ja jedes mögliche Szenario durchdenken, um zu vermeiden, dass du „auf dem falschen Fuß erwischt wirst“.
Um immer alles unter Kontrolle zu haben, musst du zudem andere ständig kontrollieren und wirst zu einem Detail-Manager und Control-Freak. Das liegt daran, dass du anderen nicht vertraust, dass sie das schon hinbekommen. Und dass du dir selbst nicht genügend vertraust, dass du es schon hinbekommst, wenn dir oder einem Mitarbeiter mal etwas durchrutscht.
Wenn du über alle Details Bescheid weißt, dann gibt es dir vielleicht ein Gefühl von Sicherheit. Deine Mitarbeiter aber spüren dein fehlendes Vertrauen, denn sonst müsstest du ja nicht bei allem Dingen mitreden. Zudem bist du wahrscheinlich ein Engpass, an dem viele Themen warten müssen, denn du hast ja so viel zu tun. Auch können sich deine Mitarbeiter nicht entwickeln, da du ja letztlich für alles immer die Verantwortung übernimmst.
Und zu guter Letzt: Wenn du ein Detail-Manager bist, dann kümmerst du dich wahrscheinlich zu wenig um deine ureigensten Aufgaben als Führungskraft: Strategie und Richtung vorgeben, die richtigen Mitarbeiter auswählen für dein Team und diese in die Lage versetzen, ihre Aufgaben gut erledigen können (höchstwahrscheinlich sogar besser als du es könntest 😊).
3.) Du musst deine Komfortzone verlassen, um dich weiterzuentwickeln
Ich habe in meiner Karriere oft meine Komfortzone verlassen müssen. Es hat sich oft anfangs nicht gut angefühlt, aber über die Monate hinweg bekam ich ein besseres Gefühl für den neuen Job und irgendwann war ich dann froh, dass ich es gewagt hatte. So weit so gut. Ich denke trotzdem, dass man nicht unreflektiert sagen sollte: Ich muss mich ständig aus meiner Komfortzone bewegen.
Das vermeintliche Mantra: Es muss immer weiter nach oben gehen, kann ja gar nicht stimmen. Sonst wären wir alle heute CEOs. Außerdem sagt schon das Peter-Prinzip, dass man immer weiterbefördert wird, weil man gut in dem ist, was man tut, bis man zwangsläufig die Stufe seiner Inkompetenz erreichen muss. Und warum ist das so? Ich denke, wir kennen die Grenzen unserer Kompetenzen und Fähigkeiten nicht gut genug, um im richtigen Moment auch mal Nein-Sagen zu können bei einer anstehenden Beförderung.
Daher: Es ist wichtig, dass man sich selbst gut genug kennt, damit man sich nicht so weit von seiner Komfortzone entfernt, dass es einen zerreißt. Wenn ich zu weit außerhalb meiner Komfortzone bin, ist „Ich-selbst bleiben“ nicht mehr machbar. Aber wie gesagt, dazu muss man erstmal wissen, wer man selbst ist. Deshalb ermutige ich gerade jüngere Menschen, sich frühzeitig mit ihrer eigenen Persönlichkeit zu befassen. So können sie im Laufe ihrer Karriere gut entscheiden, wie weit sie gehen wollen. Ich habe zumindest für mich entschieden: Ich will heute ein Leben aus meiner Mitte heraus führen.
4.) Konflikte gibt es in einem guten Team nicht
Ich würde eher sagen: Wer nie Konflikte mit Kollegen im Job hat, der macht etwas falsch. Konflikte gehören zum Berufsalltag und wer Konflikte immer vermeidet, wird höchstwahrscheinlich eine spannungsgeladene Situation über die Zeit verschlimmern.
Es gibt Menschen, die tun sich mit Konflikten sehr schwer, da Konflikte für sie eine Gefahr darstellen. Eine Gefahr, dass der andere einen ablehnt oder die Unterstützung entzieht. Menschen mit einem schwächeren Selbstwert suchen in der Regel nach Anerkennung. Ein Konflikt wirkt aber eher bedrohlich. Diese Menschen sind sehr gut darin, Kompromisse zu finden, die den Konflikt vermeintlich vermeiden. Meine Erfahrung nach sind aber Kompromisse langfristig nicht immer eine gute Lösung.
Ich glaube, es ist besser einen offensichtlichen Konflikt zur Sprache zu bringen. Ob er eine Belastung wird, hängt vor allem von den beteiligten Persönlichkeiten und deren Konfliktkompetenz ab. Wenn ich in der Lage bin, sachlich und wertschätzend meinen Standpunkt mit Ich-Botschaften zu formulieren, gibt es oft für den Konfliktpartner gar kein Potential für Aggressionen.
Auch habe ich gelernt, dass es mir gar nicht mehr Anerkennung einbringt, wenn ich nie einen Konflikt eingehe. Überlege einmal selbst: Wenn du immer Ja sagst und deine Meinung herunterschluckst, wirst du von deinem Gegenüber nie wirklich als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen. Denn du zeigst kein Profil, keine Ecken und Kanten. Irgendwie wie ein Schwamm. Wer ruhig und professionell Konflikte lösen kann, hat wirkliche Führungskompetenz. Zum Podcast
5.) Nur charismatische, extravertierte, knallharte Typen mit Ellbogen kommen nach oben
Sagen wir mal so. Diesem Typ Mensch fällt es wahrscheinlich leichter, sichtbar zu sein und sich durchzusetzen, und daher vielleicht auch schneller nach oben zu kommen. Auf der anderen Seite wird in der Beurteilung von Führungskräften heute viel mehr auf inhaltliche Fähigkeiten und soziale Kompetenzen geachtet, als es vielleicht früher der Fall war.
Auch stellt sich die Frage, ob der Typ „Blender“ oder „Ellbogen-Manager“ langfristig erfolgreich ist. Meistens fliegen die irgendwann auf oder legen sich mit den falschen Leuten an.
Für mich sind die zwei Kernkompetenzen einer Führungskraft: Die Richtung vorgeben (Strategie) und die richtigen Mitarbeiter zu finden, zu motivieren und sie bei Ihrer Zielerreichung und Entwicklung zu fördern. Dazu braucht es keine Ellbogen oder charismatische Ausstrahlung.
Dennoch stellen sich mir zwei Fragen:
- Wenn ich eher der stille, empathische Schaffer bin, wie wird dann die obere Führungsetage auf mich aufmerksam?
- Wieviel Energie kostet mich eine Rolle an der Spitze, wenn es für mich nicht natürlich ist, jeden Tag vor Leuten zu stehen, zu kommunizieren und Konflikte zu bearbeiten?
Dazu später mehr…..
6.) Du darfst keine Fehler machen
Viele Menschen haben in ihrer Kindheit und Erziehung lernen müssen, dass Fehlermachen nicht toleriert oder sogar sanktioniert wird. Sie haben also schon früh gelernt, dass es ihnen besser geht (z.B. die Zuneigung der Eltern bekommen), wenn sie keine Fehler machen. In der Zeit haben sich die sogenannten Glaubenssätze entwickelt. Das kann dazu führen, dass diese Menschen sich später als Perfektionisten im negativen Sinne herausbilden. Denn an sich ist das Streben nach Vollkommenheit nichts Schlechtes. Wenn es von innen heraus motiviert ist, einfach nur um besser zu werden, ist das sogar wünschenswert. Schädlich ist es aber, wenn Perfektionismus in übertriebene Fehlervermeidung mündet, die in einer Angst vor dem Scheitern begründet ist.
In unserer heutigen Businesswelt ist es aus meiner Sicht unmöglich keine Fehler zu machen. Es sei denn du tust gar nichts – und das ist dann auch wieder ein Fehler. Wer nach vorne geht und Dinge verändert, der macht zwangsläufig Fehler und das führt normalerweise nicht gleich zum Rauswurf.
Versuche zu unterscheiden, wo Fehlervermeidung unbedingt notwendig ist, da es evtl. sogar Menschen schaden könnte. Und wo kann man es einfach mal bei 90% gut sein lassen. Außerdem wer ab und zu einen Fehler macht, wirkt menschlich und nahbar. Wie sagt schon Reinhard K. Sprenger: „Perfektion schafft Aggression“. Zum Podcast
7.) Only numbers count – the rest is conversation
Ich komme aus einer Konzernwelt, die von einer Private Equity (Finanzinvestoren) Kultur geprägt wurde. Für diese Firmen geht es letztlich ausschließlich um Geld. „Only numbers count“ – wie oft fiel dieser Satz, wenn mal wieder ein Kollege eine Präsentation hielt und dabei nicht schnell genug die finanziellen Auswirkungen eines Projektes oder einer Initiative zeigen konnte.
Ich werde nie vergessen, als ich einmal in einem Gremium nach meinem Burnout ein Thema vorstellen wollte, das sich um den Menschen in der Organisation drehte. Ich glaube ich bin gar nicht bis zur zweiten Folie gekommen, da wurde ich schon unterbrochen: „Show me the numbers!“
Ich bin nicht naiv und weiß, wie eine P/L funktioniert. Am Ende muss eine Firma Gewinne erzielen, sonst kann sie nicht dauerhaft überleben. Ich begreife trotzdem nicht, dass die meisten Firmen scheinbar nach wie vor nicht verstehen, dass Investitionen in den Menschen eine genauso gute Anlage sind, wie eine neue Abfüllanlage. Das Problem ist lediglich, dass der Business Case bei der Abfüllanlage leichter zu beweisen ist als die Investition in den Menschen.
Nur so viel dazu. Ich habe mehrfach gesehen, dass der Chef einer Firma immer Geld für ein Thema freimachen kann, das ihm am Herzen liegt. Solange also ganz oben nicht ankommt, dass es die ureigenste Führungsaufgabe ist, sich um den Menschen in der Organisation zu kümmern, werden die Krankheitsraten weiter ansteigen. Zum Podcast
8.) Ein Burnout ist das Ende der Karriere. Psychische Schwäche zeigen geht gar nicht
Das ist wirklich ein schwieriger Satz. Denn ich weiß, dass ich genauso gedacht habe – bevor ich meinen Burnout hatte. Zunächst einmal ist ein Burnout ein dramatischer und schmerzvoller Einschnitt. Unter anderem deswegen, da alle anderen mitbekommen, dass man psychische Probleme hat und nicht „perfekt funktioniert“ und „alles unter Kontrolle“ hat. Und das zerstört doch das Image, an dem ich so hart gearbeitet habe.
Wenn man in einen Burnout rutscht, dann läuft es ja im Job, im Privaten oder beiden eben nicht gerade rund. Ein Burnout ist ja ein Hilfeschrei, dass etwas ganz und gar nicht stimmt und dringend betrachtet werden soll. Für mich gibt es jetzt also zwei Möglichkeiten:
- Du erkennst wo deine Themen sind und kannst idealerweise ein paar davon lösen. Das versetzt dich wahrscheinlich in die Lage, dein bisheriges Leben oder den Job genauso weiterzuführen – nur besser, da du ein paar hinderliche Baustellen lösen konntest.
- Du erkennst, dass der aktuelle Job oder dein Leben so nicht für dich funktioniert und du etwas Radikales ändern möchtest. Denn durch den Burnout durftest du wichtige Erkenntnisse über dich und deine wirklichen Bedürfnisse kennenlernen.
In beiden Fällen geht es besser für dich weiter. Bei mir war es so, dass ich Schritt 1.) gemacht habe und mein Unternehmen der Meinung war, dass ich eine „Bessere Führungskraft – dank Burnout“ geworden bin. Ich wurde zwei Jahre nach dem Burnout in den Vorstand befördert. Und doch habe ich 7 Jahre nach meinem Burnout doch Schritt 2.) gemacht. Denn dann war ich bereit dafür eine wirkliche Veränderung vorzunehmen.
Ich will aber überhaupt nicht behaupten, dass eine psychische Erkrankung nicht nach wie vor eine Stigmatisierung nach sich ziehen kann. „Packt er oder sie den Job noch?“ Ja, kann sein. Wahrscheinlich haben auch in meinem Unternehmen manche diesen Gedanken gehabt. Ich persönlich hatte aber wirklich den Eindruck, dass ich durch den Burnout stärker geworden bin. Außerdem war es sehr hilfreich, eine „Schwäche“ offen zeigen zu können. Denn das schaffte großes Vertrauen in meinem Umfeld. Zum Podcast
9.) Gute Entscheidungen müssen vor allem gut durchdacht sein.
Das stimmt schon, denn man sollte sein Wissen und Erfahrungsschatz bei der Bewertung einer Entscheidung nicht außen vorlassen. Folgendes ist mir aber zunehmend im Laufe meiner Karriere bewusst geworden: Je mehr und länger ich eine Entscheidung durch meinen Kopf analysiert habe, desto weiter wurde meine Intuition nach hinten gedrängt. Kennst du das? Da kommt ein Problem hoch und in Sekundenschnelle gibt es einen Impuls, der dir sagt, was die richtige Antwort ist. Nennen wir es den ersten Gedanken, der kommt. Nun schmeißt du die Kopfmaschine an und analysierst das Problem bis du so viele Gründe dafür gefunden hast, dass die erste Lösung nicht funktioniert.
Ich habe mich oft dabei beobachtet, wie ich die eigentlich richtige Entscheidung aus dem ersten Gedanken in der „Analyse“ so verdreht habe, bis eine andere Lösung herauskam. Das habe ich z.B. getan, um einen vermeintlichen Konflikt zu vermeiden, der sich aus der ersten Lösung hätte ergeben können. Oder ich Angst hatte, bestimmte Erwartungen mit der ersten Lösung nicht erfüllen zu können.
Dummerweise fielen mir solche „falschen“ Entscheidung in der Regel auf die Füße und ich musste doch den ersten, richtigen Weg gehen – warum nicht gleich so. Der Punkt ist: vertraue auf deine Intuition, denn darin steckt viel mehr Weisheit, als du dir eingestehen willst. Deine Intuition kennt die beste Lösung. Jetzt darfst du ihr nur noch vertrauen lernen.
10.) Du musst jederzeit erreichbar sein, denn du könntest etwas Wichtiges verpassen.
Wenn du dein Handy auf Nicht-Stören schaltest, dann könntest du tatsächlich etwas verpassen. Stimmt – die Frage ist nur: Na und? Ich denke wir sind uns einig, dass du nur wirklich im Kopf abschalten kannst, wenn dein Handy nicht die ganze Zeit brummt. Wenn du nach wie vor glaubst, dass du dich erholen kannst, während du alle 10 Minuten eine E-Mail liest, dann irrst du dich.
Was soll denn genau passieren, was in der nächsten Stunde von dir unbedingte Beachtung benötigt? Klar hat das auch damit zu tun, welche Rolle du im Unternehmen spielst. Aber häufig sind vermeintlich dringende Fragen, nicht wirklich dringend. Was wäre, wenn es eine Eskalationsroutine gäbe, auf die du dich verlassen kannst. Wenn mal wirklich etwas superwichtiges passiert, bei dem du unabdingbar bist, dann hast du jemanden benannt, der dich trotzdem erreichen kann. Alles andere kann warten.
Gerade wenn du im Urlaub bist, am Wochenende oder nach der Arbeitszeit, ist das wirklich wichtig. Denn du brauchst Erholung – auch wenn du dir das nicht eingestehen willst. Ich weiß, was die Alternative ist, wenn man sich keine Erholung zugesteht.
Wenn du eine Führungskraft bist, dann hast du aus meiner Sicht noch eine zusätzliche Verantwortung. Denn alles, was du vorlebst, werden deine Mitarbeiter als Standard verstehen. Selbst wenn du sagst: „Am Wochenende keine E-Mails lesen!“, es dann aber selbst tust, kriegen die Mitarbeiter das mit und verhalten sich ähnlich. Gesundes Führen heißt, seine Vorbildfunktion verstehen und ausfüllen.