Eine bessere Führungskraft – dank Burnout

Ich würde heute sagen, dass mein Burnout die mit Abstand beste Maßnahme zur Führungskräfteentwicklung war, die ich je mitgemacht habe. Aber auch die schmerzhafteste.

Wenn wir schon in einem Burnout stecken, dann wäre es doch schön, einen Sinn dahinter zu entdecken. Ich kann heute sagen: Mein Burnout war der Beginn eines Prozesses, der mich zu einem viel besseren Leben geführt hat. Wie sehr habe ich es gehasst in den Büchern von solchen Sätzen zu lesen. Was genau soll gut an einer Depression sein? „Die Gunst des Leidens“ – oh Mann. Aber was soll ich sagen – es stimmt.

Also zurück zum Thema. „Eine bessere Führungskraft – dank Burnout“. Klingt ja erst mal nach einem Widerspruch, wo man doch überall liest, dass die Karriere bei Führungskräften durch einen Burnout in Gefahr ist. Meine Erfahrung zumindest zeigte das Gegenteil. Und wenn man mal genauer dahinter schaut, dann macht das auch viel Sinn.

Das Netz ist voll mit Beschreibungen des typischen Burnout-Kandidaten. Es handelt sich in der Regel um Menschen, die großes Engagement im Beruf zeigen, die sehr verlässlich und gründlich sind und daher oft auch sehr erfolgreich. Im Umkehrschluss sind diese Menschen aber auch oft Mikromanager, haben einen Hang zur Perfektion, da sie Fehler unbedingt vermeiden wollen. Sie arbeiten sehr hart, unter anderem, da sie ihre Grenzen nicht kennen. Wichtig für sie ist es oft, die Fassade eines perfekt funktionierenden Menschen aufrechtzuerhalten. Auch haben Burnout- Kandidaten meist ein mangelndes Selbstwertgefühl und brauchen daher ständig die Anerkennung anderer. Zudem sind sie harmoniebedürftig und versuchen es jedem recht zu machen. Daher sind sie häufig beliebt bei anderen, denn sie sagen ja meist „ja“ und übernehmen Aufgaben, bei denen andere lieber passen.

In der Rückbetrachtung habe ich festgestellt, dass der Burnout eine Reihe von heilsamen Veränderungen in meinem Verhalten als Führungskraft initiiert hat. Ein paar davon würde ich hier gerne vorstellen.

 

Perfekt sein müssen – warum eigentlich?

Perfektion schafft Aggression – so sagte schon Reinhard K. Sprenger. Stimmt. Das Ziel, perfekt sein zu wollen, bringt einen gar nicht näher an das Ziel, von allen geliebt zu werden. Vielmehr das Gegenteil: Ich habe erfahren, dass Menschen mich vor meinem Burnout eher als „kalten Fisch“ bezeichnet haben. Analytisch und clever, aber eben auch unnahbar und undurchschaubar. Sie konnten mir nur schwer vertrauen, da sie nicht wussten, wen sie wirklich vor sich hatten.

Durch meinen Burnout konnte ich die Maske des perfekt funktionierenden Menschen nicht mehr aufrechterhalten, an der mir so viel lag. Denn mir wurde bewusst, dass alle um mich herum mitbekamen, dass ich nicht perfekt funktionierte. Das war wohl der schmerzhafteste Teil des Prozesses – neben den reinen Symptomen der Depression.

Am Ende jedoch war das eine der für mich wichtigsten Veränderungen: Ich musste nicht mehr mit aller Kraft versuchen, eine Fassade aufrecht zu halten, sondern ich konnte „Schwäche“ zeigen. Dadurch öffneten sich auf einmal unendlich viele Türen. Da ich mit meiner Erkrankung auch in der Firma offen umging, fühlten sich andere dazu eingeladen, ihre Geschichte zu erzählen. Ich habe sehr viel über anderen Menschen erfahren, da ich jetzt etwas von mir preisgab. Vor dem Burnout hätte ich solche Dinge immer für mich behalten. Ich wurde dadurch zu einem sehr viel empathischeren Menschen.

 

Alles unter Kontrolle – oder doch lieber den Mitarbeitern vertrauen?

Ich war vor dem Burnout davon überzeugt, dass ein guter Manager im Detail über die Dinge Bescheid weiß, die sich in seinem Bereich abspielen. Diejenigen, die vor allem durch Delegation glänzten, habe ich belächelt. Als bekennender Mikromanager kannte ich mich im Detail mit fast allen Themen aus, für die ich verantwortlich war – dachte ich zumindest. Denn in Wirklichkeit hatte ich durch meine mittlerweile größere Leitungsspanne so viele Themen und Mitarbeiter, dass ich gar nicht mehr im Detail informiert sein konnte. Oft machte ich mich zum Engpass in den Projekten, da ich glaubte, nur ich sei in der Lage, den entscheidenden Input zu geben. Und dass, obwohl mein Detailwissen nicht mehr größer war als das meiner Mitarbeiter. Dadurch mussten sich meine Mitarbeiter wohl eher als Zuarbeiter fühlen und nicht als Personen, die selbstverantwortlich ein Thema bearbeiten durften.

Als ich 5 Monate nach dem Burnout wieder zurückkam, war bewiesen, dass ich nicht bei allen Dingen – schon gar nicht bei den Details – gebraucht wurde. Der Betrieb lief wunderbar auch ohne mich weiter. Es waren schon ein paar Dinge in diesen Monaten aus dem Ruder gelaufen, aber eigentlich nichts Dramatisches. Die strategischen Arbeiten waren liegen geblieben, aber okay. Als ich wieder ins Büro zurückkam, brauchte ich mich erst mal gar nicht um etwas Dringendes zu kümmern. Fast automatisch ergab sich für mich eine andere Form der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern. Ich versuchte ganz bewusst, mehr Distanz zu den Details aufzubauen und die Mitarbeiter machen zu lassen. Ich wurde mehr zu einem Coach oder Berater für meine Mitarbeiter. Ein Manager, der mehr aus dem Rückraum agiert. Die „graue Eminenz“, die ihre Erfahrungen einbringt. Dadurch übernahmen die Kollegen mehr Verantwortung, die sie eigentlich auch schon immer haben wollten. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

Ich hatte damit endlich die Position, die ich wirklich haben sollte. Nämlich eher strategisch, beratend aktiv zu sein, meine Erfahrungen und Kenntnisse der Zusammenhänge zu nutzen, anstatt Details zu kontrollieren. Und die Mitarbeiter wurden aufgewertet und mehr gefordert und konnten sich damit für höhere Aufgaben qualifizieren. Und zur Beruhigung für alle Mikromanager: Selbst nach dieser Veränderung habe ich festgestellt, dass ich trotzdem noch genug Detailinformation über die Vorgänge in meiner Organisation hatte. Wenn man einmal Mikromanager war, dann wird man immer ein Auge für Details behalten. Nur vielleicht nicht mehr auf dem untersten Niveau – wozu auch?

Dieses Thema hat viel mit Vertrauen zu tun. Zuallererst zu sich selbst und dann zu seinen Mitarbeitern. Nur wer vertrauen kann, kann auch wirklich Verantwortung delegieren.

 

Nur nicht aus dem Bauch entscheiden – oder vielleicht doch?

Ich habe mich früher als extremen Kopfmenschen wahrgenommen. Und war stolz darauf. Alles wird durchdacht und analysiert, denn nur dann kommt auch eine gute Entscheidung dabei raus. Ich war immer verwirrt, wenn Leute über ihre innere Stimme geredet haben oder ihre Intuition oder ihr Bauchgefühl. Ich kannte das nicht. Irgendwann verstand ich aber, dass der erste Gedanke, der mir zu einer Entscheidung in den Kopf schoss, meine Form von Intuition darstellte. Also ich hatte sie doch! Nur, was damit machen? Man muss es doch trotzdem erst mal richtig durchdenken, bevor man entscheidet. Ja und nein würde ich heute sagen. Denn ich habe mich oft dabei ertappt, dass ich eine intuitiv richtige Entscheidung so lange durch meine analytischen Filter gejagt habe, bis ein anderes Ergebnis dabei herauskam. Und zwar ein Ergebnis, das es mir ermöglichte, z.B. einen Konflikt zu vermeiden. Oft zeigte sich aber, dass diese „falschen“ Entscheidungen später eher auf mich zurückfielen und dann erst recht einen Konflikt mit sich brachten.

Ich kann nur allen „Kopfmenschen“ empfehlen, einfach mal den ersten Gedanken als Entscheidung gelten zu lassen und zu beobachten, ob das Ergebnis nicht sogar besser ist als das Ergebnis, das aus dem vermeintlichen Supercomputer kommt. Auch hier gilt: Es ist immer noch genug Kopfmensch vorhanden, dass wir schon keine völlig sinnlosen Entscheidungen treffen werden.

 

Keine Zeit, um genau hinzusehen

Vor meinem Burnout hatte ich das Gefühl, unendlich Energie zu besitzen. Ich kannte im Berufsleben und im Privatleben nur Volldampf. Mir fiel schon auf, dass mein Umfeld es mit Unverständnis wahrgenommen hat, wie ich durchs Leben gerannt bin. Ich nahm das aber eher als Anerkennung wahr als als Anreiz zum Nachdenken. Ich hielt mich einfach für superleistungsfähig. Heute weiß ich, dass man schnell in eine suchtartige Abhängigkeit von Hormonen wie Dopamin und Endorphin kommen kann, die einen von Erfolg zu Erfolg hetzen und dabei einsetzende körperliche und seelische Probleme überspielen helfen.

Ich empfand in den Jahren vor dem Burnout immer so ein Gefühl von „irgendwas stimmt nicht“. Ich fühlte mich zunehmend unter Druck, ständig unter Strom. Aber ich hielt das für das ganz normale Grundrauschen, was man eben als Manager auszuhalten hat. „Dafür bekommen wir ja auch mehr Gehalt – ist halt Schmerzensgeld. Ha, ha, ha“.

In Wirklichkeit hatte ich komplett die Verbindung zu mir verloren. Ich spürte mich überhaupt nicht mehr. Mir kam es nicht in den Sinn, Fragen zu stellen wie: „Brauche ich nicht mal eine Pause?“, „Warum kann ich am Strand nicht mal fünf Minuten sitzen und nichts tun?“, „Wieso kann ich Dinge immer weniger genießen?“

Nach dem Burnout wurde mir viel bewusster, wie es mir ging. Die Antennen für „Wie geht es mir jetzt?“ sind während der Auszeit sehr geschärft worden. Ich hatte nach dem Burnout nie das Gefühl, wieder die alte Leistungsfähigkeit erreicht zu haben. Nur hatte ich vor dem Burnout gar nicht gemerkt, wie leer ich eigentlich war!

In Bezug auf meine Führungsrolle war mein „Superpower Verhalten“ auch nicht wirklich hilfreich, denn ich war kein gutes Vorbild für meine Mitarbeiter. Einer sagte sogar nach dem Burnout zu mir: „Als du damals krank wurdest, ist mir fast ein Stein vom Herzen gefallen. Denn da wurde deutlich, dass du auch nur ein Mensch bist. Ich habe mich immer schlecht neben dir gefühlt, weil ich einfach nicht so powern konnte wie du. Wenn wir z.B. von einem Meeting abends zurückflogen, war ich so platt, dass ich nur noch die Augen zumachen wollte. Und da hast du schon wieder auf deinem Blackberry alle Mails abgearbeitet…“

Nach meiner Rückkehr war es mir immer besonders wichtig, bei meinen Mitarbeitern dafür zu sorgen, dass sie lernten, ihre Grenzen zu erkennen. Gerade unsere amerikanischen Kollegen hielten nicht viel davon, den wenigen Urlaub, der ihnen zustand, überhaupt zu nehmen – nicht gut!

Ich habe gelernt, heute viele Dinge mit mehr Ruhe und Achtsamkeit zu machen. Auch ist Meditation nicht mehr aus meinem Tagesablauf wegzudenken. Früher hätte ich nicht gewusst, wie ich die 20 Minuten dafür am Tag finden soll.

Ich hatte einmal einem Freund empfohlen, 10 Minuten mit CD-Anleitung zu meditieren. Er sollte versuchen, nur auf den Atem zu achten. Er sagte am nächsten Tag zu mir: „Ich musste aufhören; da werde ich ja verrückt bei dem Gedankenkarussell.“ Gerade dann wird es Zeit, einmal genauer hinzusehen.

 

Und wozu das alles?

 

Für die Leute, die im Burnout stecken: Es gibt es eine Zeit danach und die wird besser als vorher, denn dein Körper hat dir den Burnout aus einem guten Grund „geschenkt“. Auch der Job kann dadurch besser werden, denn man hat viel gelernt. Ich bin zwei Jahre nach meiner Rückkehr vom Burnout sogar in die Vorstandsebene meines Unternehmens befördert worden. Und ich bin sehr offen mit meiner Situation umgegangen. Selbst wenn du am Ende herausfindest, dass der Job der falsche für dich ist, dann ist das auch etwas ganz Wichtiges.

Für die Leute ohne Burnout-Erfahrung: Ihr habt den Bericht bis hierher gelesen. Da scheint also ein Interesse für genaueres Hinsehen zu geben. Euch kann ich nur empfehlen: Versucht zu verstehen, was Achtsamkeit bedeutet. Vor allem die Achtsamkeit auf die eigenen Bedürfnisse, Gefühle und den eigenen Körper. Ein Tipp für dem Anfang: Wenn ihr langsam durch den Wald geht, werdet ihr viel mehr wahrnehmen, als wenn ihr schnell geht.


Zu weiteren Blogs geht es hier entlang