Dauerstress ist echt gefährlich.

Ich habe während meiner Karriere geglaubt, dass ich unendlich Energie habe. Pausen waren für mich nicht nötig – es gibt ja so viel zu tun. Auch das Gefühl des „permanent-unter-Strom-stehen“ war für mich ein Zeichen, dass ich ein Manager mit viel Verantwortung bin. Das gehört eben dazu, dafür bekommst du ja Schmerzensgeld – ha, ha.

Heute weiß ich, dass ich gar keine Verbindung mehr zu mir gehabt habe. Ich wusste nicht, wie es mir geht und dass ich eigentlich total erschöpft war. Ich habe einfach nur noch funktioniert. Auch ist mir heute klar, dass dieses permanente Stressgefühl sehr gefährlich ist, denn unser Körper interpretiert Stress als Krisensituation, in der wichtige Körperfunktionen – wie z.B. die Arbeit des Immunsystems heruntergefahren werden. Das kann richtig gefährlich werden. Das wurde damals sehr eindrücklich, als meine Blutwerte zeigten, dass meine Immunabwehr auf einem so niedrigem Niveau war, dass ich einer schweren Krankheit kaum etwas entgegenzusetzen gehabt hätte.

Was ist denn überhaupt Stress? Stress ist nichts Objektives. Also nichts, dass jeder Mensch gleich empfindet, wenn er mit den gleichen Stressoren konfrontiert wird. Wir alle kennen Menschen auf der Arbeit oder im Privatleben, die völlig unbeeindruckt scheinen, bei Situationen, die uns komplett aus der Bahn werfen. Und umgekehrt. Das liegt daran, dass der gleiche Stressor (z.B. jemand kritisiert uns) von uns unterschiedlich bewertet wird. Menschen mit geringem Selbstwert geraten schnell unter Stress, da für sie die Kritik eine Bestätigung ihrer vermeintlichen Minderwertigkeit bedeutet – und das tut weh. Menschen, die Kritik als Möglichkeit für sich sehen, besser zu werden, kommen daher auch nicht in Stress.

Stress entsteht durch unsere Gedanken. Denke einmal über Situationen nach, die dich stressen. Z.B., der Gedanke, was passieren könnte, wenn dein Projekt nicht rechtzeitig fertig wird. Häufig entsteht Stress dadurch, dass du entweder über Dinge in der Vergangenheit nachdenkst oder über Dinge, die in der Zukunft passieren könnten. Beides bringt nichts und kostet nur Energie. Die Vergangenheit ist vorbei und lässt sich durch Grübeleien nicht mehr ändern. Die Zukunft kannst du auch durch noch so viel Nachdenken nicht vorhersagen. Also wozu der Aufwand? Leichter gesagt als getan – ich weiß. Aber überlege einmal, was es bedeuten würde, wenn du zu jedem Zeitpunkt immer genau im Hier und Jetzt wärest. Du könntest nicht über Zukunft oder Vergangenheit nachdenken, sondern würdest dich nur mit dem beschäftigen, was gerade passiert. Du wärest super fokussiert auf die jetzige Aufgabe und könntest nicht in Stress geraten, da du keine stressigen Gedanken denkst.

Ich bin früher oft morgens oder auch nachts aufgewacht und sofort hat sich ein stressiges Gefühl eingestellt. Mir wurden sofort all die bedrohlichen Probleme bewusst, die vor mir lagen. Versuche in solchen Situationen einfach mal dich ausschließlich auf das zu konzentrieren, was du gerade tust. Du wirst sehen, deine Gedanken können gar nicht um die bedrohlichen Dinge kreisen und dich daher auch nicht stressen. Wenn du im Bett liegst, dann konzentriere dich nur auf deinen Atem – das ist übrigens auch der erste Schritt zur Meditation.

Aber warum gibt es überhaupt Stress? Evolutionsbedingt lösen Stressoren bei uns die sogenannte „Flight or Fight“-Reaktionen aus. Früher war das Auftauchen des Säbelzahntigers ein solcher Stressor, der aus guten Grund dafür gesorgt hat, dass dein Körper alle Energie darauf konzentrierte, entweder zu fliehen oder zu kämpfen. Verantwortlich dafür ist der Sympathikus – ein Teil unseres vegetativen Nervensystems. Der Sympathikus ist dafür zuständig in einer solch bedrohlichen Situation den Blutdruck und Puls hochzufahren, die Darmtätigkeit und das Immunsystem herunterzufahren und vieles andere mehr. Der Sinn ist, dass alle Energie des Körpers für das Fliehen oder Kämpfen bereitgestellt wird. Das Gefühl, was sich hier einstellt, ist Stress.

Wenn die Gefahr vorbei ist, wir auf dem Baum sitzen und der Säbelzahntiger uns nicht mehr erreichen kann, dann sorgt der Parasympathikus dafür, dass sich das System wieder beruhigt. Blutdruck und Puls gehen wieder runter, Darmtätigkeit und Immunsystem werden wieder hochgefahren und so weiter. Der Parasympathikus ist also der Gegenspieler des Sympathikus und die beiden arbeiten prima zusammen für solche Notfälle.

Heute allerdings sind solche extremen Situationen eher selten. Dennoch nimmt unser System heute ständig Bedrohungen wahr, woraufhin der Sympathikus anspringt. Diese Art der Bedrohung sind zwar lange nicht so lebensbedrohend, versetzen uns aber dennoch unter Stress. Auch das wäre noch nicht schlimm, wenn dieser Zustand sich immer wieder auflösen würde. Das Problem ist nur, wenn wir unter Dauerstress stehen – also der Sympathikus die ganze Zeit feuert – dann kann der Parasympathikus nicht zum Zuge kommen. Er ist blockiert. Gesund ist, wenn sich Sympathikus und Parasympathikus abwechseln. Also nach Stress kommt wieder Beruhigung.

Ungesund ist es, wenn der Parasympathikus dauerhaft die Hoheit hat und unser Körper immer im Alarmmodus ist. Mach dir einmal bewusst, was es heißt, wenn durch diesen Vorgang dein Immunsystem dauerhaft eingeschränkt funktioniert. Es macht ja Sinn, dass der Schnupfen dein geringstes Problem ist, wenn der Säbelzahntiger vor dir steht. Aber ein dauerhaft reduziert arbeitendes Immunsystem ist irgendwann nicht mehr in der Lage, schwere körperliche Erkrankungen abzuwehren. Dauerstress ist also echt ein brandgefährliches Phänomen.

Viele von uns kennen natürlich auch die entspannende Wirkung des Alkohols am Abend. Aus diesem Grund wird der Alkohol auch gerne als Parasympathikus-Droge bezeichnet. Denn er sorgt dafür, dass der Parasympathikus endlich auch mal wieder zum Zuge kommen kann. Aber den Preis, den wir für diese Art der Entspannung bezahlen müssen, kennen wir auch alle.

Aus meiner Sicht sollte das Ziel für jeden von uns sein, dass wir genug Beruhigung und Entspannung in unseren Alltag einbauen, dass der Parasympathikus seinen Raum bekommt. Auf keinen Fall ist es eine gute Idee, Dauerstress einfach als gegeben hinzunehmen. Das kann sehr gefährlich werden und fühlt sich ohnehin nicht gut an. Ein Weg könnte ein regelmäßiger langsamer (!) Waldspaziergang sein oder täglich 20-Minuten-Meditation. Auch zwei tiefe Atemzüge hintereinander wirken schon beruhigend. Probiere es einfach einmal aus.

Zum Podcast